Ad Notam

Betriebswirtschaftliche Informationen
Juni 2021

Dipl.-Kffr. Dr. Myriam Roth,
LL.M. (corp. restruc.)

Liebe Leser,

auch wenn in den Unternehmen momentan die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten vier Wochen im Fokus steht, sollte nicht unbeachtet bleiben, welchen grundsätzlichen Wandel des ökonomischen Systems diese Krise herbeiführen und welche Folgen dies für das eigene Unternehmen haben könnte.

Als das internationale Finanzsystem vor zehn Jahren zusammenbrach und der Kapitalismus sich selbst überführt zu haben schien, glaubten viele bereits an einen politischen Linksruck. Stattdessen kamen Donald Trump und Boris Johnson.

Die vom amerikanischen National Intelligence Council aktuell veröffentlichte Studie „Global Trends 2040“ sieht die größte Gefahr für die Zukunft demnach erneut in der sozialen Spaltung. Doch in der Geschichte zeigte sich, dass kollektive Krisen häufig zu sozialen Reformen führten, insbesondere dann, wenn die Krisen die wirtschaftliche Ungleichheit und die gesellschaftliche Spaltung verstärkt haben. Dementsprechend wird u.a. von der Londoner Ökonomin Mariana Mazzucato der „unternehmerische Staat“ gefordert: Ein Staat, der investiert und die privat-wirtschaftlichen Kräfte mit dem Gemeinwohl in Verbindung bringt. Dies ist nur ein Beispiel, welchen Veränderungen sich Unternehmen zukünftig ausgesetzt sehen könnten.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre.

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Strategieentwicklung

Frühzeitige Nutzung der Chancen

Die Corona-Pandemie wird eine Zäsur in der Geschichte darstellen. Wirtschaft, Geopolitik, unser Verhältnis zur Umwelt und unsere Beziehungen untereinander werden sich grundlegend verändern. Dabei wird die Veränderung durch drei Faktoren beeinflusst: Interdependenz, Geschwindigkeit und Komplexität.

Als Zukunftsszenario ist denkbar, dass die Politik sich stärker sozialstaatlich als neoliberal orientiert. Die Bedeutung multilateraler Institutionen wird angesichts der zunehmenden globalen Rivalitäten zunehmen. Parallel werden zur Eindämmung der Abhängigkeit von globalen Lieferketten regionale Verbünde verstärkt. Die Pandemie verleiht dem ökologischen Wandel neuen Schwung. Bereits jetzt festzustellen ist ein deutlicher Schub der digitalen Innovationen. Allerdings wird es hier wichtig sein, zukünftig den Schutz von Demokratie und Privatsphäre zu sichern.

In der Wirtschaft werden Werte wie Wohlbefinden und Zufriedenheit sowie ökologischer Fortschritt die reinen Wachstumsziele ersetzen. Das Wohnverhalten wird sich verändern. Stichworte sind hier: Leben auf dem Land, mobile Immobilien. Es wird wahrscheinlich zunehmend unwichtiger, wo und zu welchen Zeiten wir arbeiten – zentral wird lebenslanges Lernen. Neue Mobilitätsformen werden entstehen. Die Menschen werden zukünftig kritischer den Social Media gegenüberstehen.

Von diesem beispielhaft erwähnten Szenario werden nicht nur einzelne Branchen und Regionen betroffen sein. Durch die Interdependenz werden die Veränderungen einer Branche und einer Region gleichermaßen angeschlossene Branchen und Regionen betreffen und dies in einer beachtenswerten Geschwindigkeit (Schwab, Klaus; Malleret, Thierry: Covid-19: Der große Umbruch, Genf 2020)

Die nicht vorhersehbaren Krisen sowie die zunehmende Unsicherheit und Geschwindigkeit zukünftiger Veränderungen bedeuten nicht, dass auf jegliche Strategieentwicklung und eine daraus abgeleitete Planung verzichtet werden kann.
Im Gegenteil! Denn auch wenn es keine Planungssicherheit gibt, endet ein Handeln ohne Leitlinien häufig im Chaos. Entscheidend aber ist, dass ohne Planung viele Chancen nicht rechtzeitig erkannt werden können.

Allerdings darf der Strategieentwicklungsprozess nicht bürokratisch sein und sich nicht auf Budgetierungsrunden und 5-Jahrespläne beschränken. Ein agiler Strategie- und Planungsprozess muss angestoßen werden, um Unsicherheiten besser begegnen zu können. Methoden, wie beispielsweise KANBAN, SCRUM oder Design Thinking, sollten je nach Geeignetheit zum Einsatz kommen.

Rentabilitätsverbesserung

Beobachtung der Rohstoff-Preisentwicklung

Die Rohstoffpreise steigen und die Verfügbarkeit in vielen Bereichen der Materialversorgung sind außerordentlich angespannt. Gründe liegen in dem Wirtschaftswachstum in Asien nach der Corona-Pandemie. Aber auch in den USA und in zahlreichen Schwellenländern steigt die Nachfrage. In den Zeiten der Stagnation haben viele Rohstofflieferanten ihre Kapazitäten abgebaut und nicht mehr investiert. Der Rohölpreis steigt seit April 2020 wieder aufgrund der Förderkürzungen durch Saudi-Arabien. Auch in der Stahlindustrie kam es zu einer starken Konsolidierung und in der Folge zu extremen Preissteigerungen in Verbindung mit erheblichen Mengenkürzungen. Der Kupferpreis liegt auf einem 10-Jahreshoch. Hier wird die Entwicklung vor allem auch durch die weltweite Elektrifizierung getragen.

Der Platinpreis profitiert von der Wasserstoffwirtschaft und der Brennstoffzellentechnik. Auch der Holzpreis hat, für viele Marktteilnehmer völlig überraschend, stark zugelegt, obwohl aufgrund von Sturmschäden und dem Borkenkäferbefall so viel abgeholzt wurde wie noch nie. Die gestiegene Nachfrage aus China in Verbindung mit der Exportbeschränkung in den USA haben den Preis in die Höhe getrieben. Die Entwicklung der Rohstoffpreise muss beobachtet werden, um entsprechende Kostenentwicklungen in die Planungsrechnungen zu übernehmen, vor allem aber, um zeitnahe Preisanpassungen auf der Absatzseite nicht zu verpassen.

Krisenvermeidung

Zunehmende Bedeutung der Krisenfrüherkennungssyteme

Angesichts der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie wird der Ruf nach einem breiten Einsatz von Krisenfrüherkennungssystemen in der Politik und Wirtschaft laut. Das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW) hat demensprechend kürzlich vorgeschlagen, eine Planungspflicht für Unternehmen einzuführen. In § 91 Abs. 2 AktG ist bereits die Pflicht für Vorstände festgeschrieben, ein Überwachungssystem einzurichten, damit die den Fortbestand der Gesellschaft gefährdenden Entwicklungen früh erkannt werden. Nicht zu unterschätzende Haftungsregime knüpfen an diese Vorschrift an. Durch die aktuelle Kodifizierung des § 1 StaRURG (Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen) als Kernbestandteil des SanIns-FoG (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz), wird die Einrichtung eines Früerkennungssystems für bestandsgefährdende Entwicklungen konkret festgeschrieben und erhält ein besonderes Gewicht. Neu ist, dass Gegenmaßnahmen bei der Identifikation einer Krise eingeleitet werden müssen.

Liquiditätsbelastungen, die bestandgefährdend sein können, müssen 24 Monate im Voraus erkannt werden (§ 18 Abs. 2 S. 2 InsO). Basis für die Erfüllung dieser Forderungen ist ein integriertes Planungsmodell. Die Aufstellung einer Plan-GuV reicht zur Identifikation von Liquiditätsengpässen nicht aus! Anstehende Liquiditätsbelastungen aus Rückzahlung von Verbindlichkeiten oder aus der Inanspruchnahme von Rückstellungen ergeben sich nur aus der Plan-Bilanz in Verbindung mit dem planerischen Cashflow.

Zur Krisenfrüherkennung bietet sich darüber hinaus eine Szenario-Planung oder Monte-Carlo-Simulation an. Die Planungsprämissen sind in Bezug auf ihre Eintrittswahrscheinlichkeiten und finanziellen Auswirkungen zu bewerten. Nur so können Maßnahmen zum Gegensteuern entwickelt und bewertet werden. Dabei ist bei der Erstellung der Planungsrechnung die Komplexität an die jeweilige Unternehmensgröße anzupassen.

Rechtsprechungsreport

Sanierungsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG)

Zum 1.1. 2021 ist das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungsund Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz; SanInsFoG v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256) in Kraft getreten. Mit dem präventiven Restrukturierungsrahmen sollen die Nachteile einer Insolvenz, wie ein potentieller Reputationsverlust, der Verlust der Kontrolle des Managements sowie hohe Kosten, vermieden und das frühe Einleiten von Sanierungsmaßnahmen gefördert werden. Ein wesentlicher Vorteil dieses Verfahrens ist die Möglichkeit, auch gegen den Willen einzelner Gläubiger mit Hilfe eines Restrukturierungsplans eine Sanierung bewirken zu können (Cross-Class Cram-Down). Ferner können durch eine gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans Nachweis- und Anfechtungsrisiken vermieden werden. Nachteilig ist, dass nicht alle Sanierungsinstrumente der InsO, wie z.B. die Eingriffe in Arbeitnehmer- und Dauerschuldverhältnisse zur Verfügung stehen.

Aufklärungspflichten des Verkäufers über die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens beim Verkauf

Der Verkäufer ist bei einem Unternehmensverkauf grundsätzlich verpflichtet, auch unaufgefordert und ungefragt über wichtige Anzeichen für eine Krise der Gesellschaft, wie beispielsweise erhebliche Zahlungsrückstände oder mehrfache Mahnungen, aufzuklären. Macht der Verkäufer unwahre, irreführende Angaben über das Unternehmen, so liegt darin eine Täuschung, hinsichtlich derer der Verkäufer sich nicht durch Vorlage der Geschäftsunterlagen exkulpieren kann (OLG München, Urteil vom 03.12.2020 – 23 U 5742/19).

Notwendiger Blick in die fernere Zukunft bei der Risikoidentifikation

Die Corona-Pandemie hat die schnellen und kaskadierenden Auswirkungen eines globalen Katastrophenrisikos gezeigt. Pandemien – ebenso wie Klimawandel, Schuldenkrisen, Cyberangriffe und, neu im Fokus, wirtschaftliche Ungleichheiten und gesellschaftliche Spaltung, sind Risiken mit hoher Wahrscheinlichkeit und hoher spürbarer Auswirkung, die im Global Risks Report des World Economic Forums ausführlich dargelegt werden und die an anderer Stelle schon besprochen wurden. Auch wenn wir uns naturgemäß nicht gerne mit Zukunftsrisiken beschäftigen, wurden in diesem Jahr im Bericht auch mögliche Risiken der nächsten 10 Jahre, die weniger bekannt sind, aber bei Manifestation enorme Auswirkungen hätten, erwähnt. Folgende Risiken wurden im Risiko Report beispielhaft aufgeführt: Ein zwischenstaatliches Gefecht eskaliert zum Krieg, da die Regierungen die Maßnahmen mangels genauer Informationen nicht kontrollieren können. Ein geschwächter Multilateralismus führt zu einem Mangel an Eindämmung. Der bewusste Einsatz von pharmazeutischen Neurochemikalien zielt darauf ab, Gegner zu kontrollieren. Die Regierungen beginnen, diese Medikamente für nicht tödliche Sanktionsmaßnahmen einzusetzen. Junge, anarchische Aktivisten, die Korruption, Ungleichheit und Leiden satthaben, mobilisieren gegen Eliten. KI-gestützte soziale Medien werden genutzt, um Desinformationen zu verbreiten und das soziale Chaos zu schüren.

Unternehmen, Regierungen oder Einzelpersonen nutzen die aufkeimende „Gedankenlesetechnologie“, um Daten von Einzelpersonen für kommerzielle oder repressive Zwecke zu extrahieren. Eine Demokratie wird autoritär durch das fortschreitende Aushöhlen des Gesetzes. Ein legaler und kein gewaltsamer Staatsstreich untergräbt das System und wirkt sich auf andere demokratische Systeme aus.

Ein sich erwärmender Planet führt in der Arktis zur Permafrostschmelze. Alte Mikroorganismen und Viren, die in der modernen Wissenschaft unbekannt sind, werden in die Luft-, Boden- und Wassersysteme freigesetzt. Der Einsatz kleiner Atomwaffen ermöglicht die Verbreitung von Sprengköpfen mit geringer Wirkung, verwischt die Abschreckungsrahmen und führt zu einem globalen Atomkrieg. (World Economic Forum, The Global Risks Report 2021, 16th Edition)

Die erwähnten Risiken führen nicht unmittelbar zu Handlungsnotwendigkeiten in Unternehmen. Sie sollten jedoch bei der Risikoidentifikation betrachtet werden und zukünftig für den Aufbau einer gewissen Resilienz der Unternehmen gegenüber diesen Risiken in Betracht gezogen werden. Dass die Corna-Pandemie zu einem Wandel der Risikowahrnehmung geführt hat, zeigt beispielsweise auch das gestiegene Interesse an den Forschungsarbeiten am SSER (Center for Study of Existential Risk) in Cambridge.