Ad Notam

Betriebswirtschaftliche Informationen
Mai 2018

Dipl.-Kffr. Dr. Myriam Roth,
LL.M. (corp. restruc.)

Liebe Leser,

kürzlich ist ein Buch über Karl Popper, den Vater des Kritischen Rationalismus erschienen (Jack Nasher: Die Staatstheorie Karl Poppers). Zentrales Element des Kritischen Rationalismus ist die Erkenntnis, dass es sicheres Wissen nicht geben kann und deshalb die Zukunft nicht voraussehbar ist. Die Realität und auch die Zukunft kann immer nur vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Erkenntnisstandes beobachtet oder vorhergesagt werden. Bezogen auf Unternehmen bedeutet diese fehlende sichere Vorhersehbarkeit der Zukunft jedoch nicht, dass Unternehmen deshalb ohne Strategie ins Blaue zu führen sind, auch wenn sich immer wieder zeigt, dass die angewandten Strategien an der Realität scheitern. Denn nur wer eine Strategie entwickelt und verfolgt, kann diese an der Realität überprüfen und so Erkenntnisfortschritte erzielen. Dieser Prozess ist der Kern jeder Unternehmensentwicklung.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre.

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Strategieentwicklung

Agile Unternehmen

Eine intensiv diskutierte strategische Theorie ist zurzeit die Theorie des agilen Unternehmens. Das agile Unternehmen gilt als eine überzeugende Antwort auf die Herausforderungen einer durch Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit geprägten Welt. Agilität wird gefordert, da die Struktur in traditionellen Unternehmen häufig zu schwerfällig ist, um auf diese Herausforderungen adäquat reagieren zu können.

Dabei wird mit Agilität vor allem die Art und Weise verbunden,wie die Arbeit in Unternehmen organisiert werden muss, damit die Unternehmen wirtschaftlich überleben können. Agilität ist daher nicht nur zu verstehen als die Theorie zur organisatorischen Prozessverbesserung, sie ist vielmehr die Theorie der flexiblen Arbeitsorganisation, die zum einen die Anpassungsfähigkeit des Unternehmens an den sich wandelnden Kundennutzen und daraus abgeleitet dann auch die Struktur des Produktes gewährleistet. Zwei Bausteine prägen dabei das agile Unternehmen: Die frühe Einbeziehung der Kunden in die Entwicklung und die „lernende“ Organisation. In agilen Unternehmen werden sich selbst organisierende crossfunktionale Teams gebildet, die alle notwendigen Funktionen integrieren, umeine Aufgabe vollständig und eigenverantwortlich zu erledigen. Die einzelnen crossfunktionalen Teams werden dann entsprechend der Produktstruktur vernetzt, so lange dies notwendig ist. Zur konkreten Gestaltung agiler Unternehmen können verschiedenste Methoden und Frameworks wie Lean Startup, Agiles Change Management, Lean ChangeManagement, Scrum etc. zur Anwendung kommen.

(vgl. hierzu Torsten Scheller: Auf demWeg zur agilen Organisation,Wie Sie IhrUnternehmen dynamischer, flexiblerund leistungsfähiger gestalten. München 2017)

Kognitive Verzerrung beim Risikomanagement

Die Analyse von Chancen und Risiken ist ein wesentlicher Baustein bei der Entwicklung einer Unternehmensstrategie. Im Global Risks Report des World Economic Forums werden jährlich die wesentlichen Risiken identifiziert, denen Unternehmen, Regierungen und die Gesellschaft ausgesetzt sind. 2018 wurden in diesem Bericht vor allem die Umweltrisiken herausgehoben. Die eingetretenen Umweltkatastrophen und der Anstieg der CO2- Emissionen führen dazu, dass die landwirtschaftlichen Systeme unter Druck geraten und die menschliche Gesundheit zunehmend gefährdet wird. Daneben werden auch die Cybersicherheitsrisiken hoch bewertet. Die Zahl der Angriffe auf die IT-Systeme von Unternehmen hat sich in den letzten 5 Jahren verdoppelt und die finanziellen Auswirkungen sind ebenfalls gestiegen: So verursachte beispielsweise alleine der NotPetya-Virus Quartalsverluste von bis zu 300Mio. US $ für die betroffenen Unternehmen. Cyberangriffe werden sich zukünftig vor allem gegen kritische Infrastruktursysteme und strategische Industriesektoren richten. Daneben werden aber auch makroökonomische Risiken unseres Wirtschaftssystems adressiert. Hierbei handelt es sich vor allem um Risiken, die aus den überhöhten Preisen von Vermögenswerten (Grundbesitz) resultieren sowie die mit der hohen Verschuldung Chinas verbundenen Risiken.

Ebenfalls wird der wachsendem erkantilistische und protektionistische Druck vor dem Hintergrund zunehmend nationalistischer und populistischer Politik mit Sorge betrachtet. Da sich in den immer komplexeren (Wirtschafts-)Systemen die Risikoausbreitung nicht mehr schrittweise vollzieht, sondern in Sprüngen, die auch in einen unkontrollierten Zusammenbruch münden können – siehe Lehmann Pleite -, wird die Einrichtung eines Frühwarnsystems dringend gefordert. Ziel eines solchen Systems ist es, sämtliche potenziellen Konfliktbereiche zu bewerten und Krisenantizipation zu betreiben. Der Risks Report wurde 2018 erstmalig noch um erläuternde Experteneinschätzungen ergänzt. Eine dieser Experteneinschätzungen hat darauf hingewiesen, dass es bei der Identifizierung und Bewertung von Risiken zu kognitiven Verzerrungen kommt. So wird den Risiken, die wir als erstes identifizieren,mehr Gewicht beigemessen, als den Risiken, die erst später identifiziert werden. Darüber hinaus werden die Risiken, die uns emotional stärker berühren, höher bewertet. Es wird daher empfohlen, für das Risikomanagement möglichst heterogene Gruppen zusammenzustellen, um diese kognitiven Verzerrungen abzumildern.

(World Economic Forum:Global Risks Report 2018)

Rentabilitätsverbesserung

Nutzen von Einkaufskooperationen

Einkaufskooperationen können für Mittelständler erhebliche Einsparungspotentiale eröffnen. Wer in größeren Mengen einkauft, bekommt bessere Preise! Dabei können Einkaufskooperationen auf verschiedene Arten geschlossen werden.Neben den üblichen Zusammenschlüssen innerhalb einer Branche, bieten sich bei gewissen Produkten auch örtliche Zusammenschlüsse an, z.B. innerhalb eines Gewerbegebietes. Ebenso können auch Unternehmen, die im gleichen Land einkaufen, kooperieren.

China-Sourcing als ein Beispiel ist in den letzten Jahren populär geworden. Erfolgreiche Einkaufskooperationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Verteilungsschlüssel verbindlich und nachvollziehbar geregelt haben:Denn nur wenn festgelegt ist,welches Unternehmen in welcher Weise von den realisierten Einsparpotentialen profitiert, kann der Bestand der Kooperation langfristig gesichert werden.

Krisenvermeidung

Anforderungen an den Liquiditätsplan

Liquiditätsplanung ist wesentliche Grundlage der Managementtätigkeit. Das Management muss ständig über den finanziellen Zustand des Unternehmens informiert sein. Eine Exkulpation ist nicht möglich (§§ 43, 64 GmbHG). Gerade in kritischen Unternehmenssituationen ist ein frühzeitiges Erkennen von Liquiditätslücken wesentlich, um Handlungsbedarf rechtzeitig zu erkennen. Ist die Krise nicht mehr abwendbar und kommt es in der Folge zur Insolvenz, spielt der Nachweis der Zahlungsunfähigkeit und der Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit eine entscheidende Rolle. In der Krise vor einer Insolvenz muss der Geschäftsführer den Liquiditätsplan mit größter Sorgfalt führen, denn nur dadurch kann er sich später wirksam entlasten. Die Verletzung der Insolvenzantragspflicht hat weitreichende Folgen: So führen bei einer Insolvenzverschleppung Ersatzansprüche häufig zur Privatinsolvenz des Geschäftsführers.Nach § 64 S. 2 GmbHG sind Geschäftsführer „zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder der Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden“. Das BGH-Urteil v. 19.12.2017 – II ZR 88/16 enthält praktische Hinweise,wie der Geschäftsführer einen ordnungsgemäßen Liquiditätsplan aufzustellen hat und damit dann auch sein ordnungsgemäßes Handeln dokumentieren kann.

So wird in der o.g. Entscheidung eine tabellarische Gegenüberstellung der künftigen Ein- und Auszahlungen in einer Liquiditätsbilanz gefordert unter Angabe der der elektronischen Buchhaltung zu entnehmenden Daten (Kontoart, -nummer und bezeichnung, Belegdatum und -nummer, Buchungstext, Rechnungsbetrag und Fälligkeitsdatum), ergänzt um die (noch) nicht in der Buchhaltung erfassten Ein- und Auszahlungen.Neu in dem zitierten Urteil des BGH ist, dass in die Liquiditätsbilanz zur Feststellung des Zeitpunktes der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 S. 1 InsO auch die erst innerhalb von drei Wochen nach dem Stichtag fällig werdenden und von Dritten eingeforderten Verbindlichkeiten (sog. Passiva II) aufzunehmen sind. Der Geschäftsführer muss auf diese Weise den Zeitpunkt einer möglichen Zahlungsunfähigkeit stets im Auge haben. Für den Insolvenzverwalter hingegen bleibt der Nachweis aus der ex-post Sicht wesentlich einfacher. Er kann den Zeitpunkt durch Indizien darlegen und beweisen. Ein häufig angewendetes Indiz sind dabei die zur Insolvenztabelle angemeldeten offenen Forderungen. Aus ihnen, ihren Fälligkeiten und aus dem Umstand, dass sie bis zur Verfahrenseröffnung nicht beglichen worden sind, lässt sich auf den Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit schließen.

Rechtsprechungsreport

Anfechtungsrecht

Das BGH Urteil vom 18.1.2018 – IX ZR 144/16 hat nochmals klargestellt,dass trotz der Änderung des Insolvenzanfechtungsrechts (BT-Drucksache 18/7054) Vorsicht beim Angebot von Ratenzahlungen seitens eines Schuldners geboten ist. Bitten um Einräumung von Ratenzahlungen stellen zwar für sich alleine noch kein Indiz für eine Zahlungseinstellung des Schuldners und damit die Grundlage möglicher zukünftiger Anfechtungsklagen dar.

Schweigt der Schuldner aber nach anwaltlicher Mahnung und Androhung gerichtlicher Maßnahmen über eine längere Zeit und bietet erst nach der Rechtskraft eines erwirkten Vollstreckungsbescheides die Teilzahlung an,wird unterstellt, dass der Gläubiger die Zahlungseinstellung des Schuldners erkannt hat. Die Vereinnahmung der Zahlung kann damit gem. InsO §§ 129 Abs. 1, 133 Abs. 1 bis zu vier Jahre nach Gewährung der Befriedigung durch den Schuldner vom Insolvenzverwalter angefochten werden.

Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) als Mittel zur Krisenprävention

Die ab dem25.Mai 2018 in Kraft tretende Datenschutzgrundverordnung stellt Unternehmen vor große Herausforderungen.Nicht unterschätzen sollten Unternehmen vor allem die Risiken aus Schadensersatzansprüchen. Im Gegensatz zu dem alten Bundesdatenschutzgesetz sind nach der neuen DSGVO künftig nicht nur Vermögensschäden sondern auch immaterielle Schäden zu ersetzen. Dies wird zu einer erheblichen Ausweitung der Schadensersatzansprüche führen, denn in aller Regel verletzen Datenschutzverstöße vor allem das Persönlichkeitsrecht und nicht das Vermögen. Dennoch sollte die DSGVO auch als Chance und als ein Mittel der Krisenprävention betrachtet werden, insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender Cyberkriminalität.

Kernziel der Datenschutzgrundverordnung ist es, „die Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen und insbesondere deren Rechte auf Schutz personenbezogener Daten“ (Art. 1 Abs. 1) jederzeit sicherzustellen. Deshalb müssen personenbezogene Daten angemessen vor Manipulation oder Fälschung gesichert werden. Es muss ein Schutz vor unbefugter oder unrechtmäßiger Verarbeitung der Daten, ihrem Verlust sowie ihrer unbeabsichtigten Zerstörung oder Schädigung gewährleistet werden. Die Datensicherheit erhält somit im Rahmen des Datenschutzes einen neuen Stellenwert. Unternehmen sollten die Einführung der DSGVO dazu nutzten, eine an ihre Bedürfnisse angepasste Cybersecurity-Strategie zu entwickeln, um sich zuküünftig effektiv vor der stetig wachsenden Bedrohung in diesem Bereich zu schützen.

Symposiumsbericht

Das 11. Heidelberger Symposium zur Unternehmensrestrukturierung am10. April 2018 stand ganz unter dem Thema Automobil. Zunächst hoben Frau Dr. Frauke Eßer (Volkswagen AG) und Herr Uwe-Karsten Städter (Porsche AG) drei wesentliche neue Herausforderungen hervor, denen die Automobilzulieferer zukünftig ausgesetzt sind. Zum einen ist dies der Innovationsdruck, dem viele Zulieferer alleine nicht mehr standhalten können. Zum anderen steigt der Wettbewerbsdruck, da immer mehr Unternehmen und Start-ups aus anderen Branchen auf den Zulieferermarkt drängen, insbesondere im Bereich Softwareentwicklung. Und schließlich müssen sich gerade Automobilzulieferer mit der großen Unsicherheit im Bereich der zukünftigen Entwicklungen von Antriebstechnik und Mobilitätssystemen auseinandersetzen. Auch wenn betont wurde, dass der Verbrennungsmotor zukünftig noch 80 % der Antriebstechnik ausmachen wird und von Herrn Steffen Bilder (MdB) eine behutsame Gestaltung des Wandels gefordert wurde, bleibt die Zukunft ungewiss. Herr Wolfgang Müller-Pietrella (Volkswagen AG) wagte einen Ausblick auf die Mobilitätssysteme des 21. Jahrhunderts und zeigte auf, dass Volkswagen entsprechend der erwarteten Entwicklungen seinen Schwerpunkt auf die Steuerung der Mobilität in der Stadt, den Transport ohne Schnittstellen und auf das autonome Fahren konzentrieren wird.

Herr Roman Zitzelsberger als Vertreter der IG-Metall prangerte vor allem die Reorganisationsverschleppung sowohl der Zulieferer als auch der Hersteller an und forderte eine stärkere Zusammenarbeit in Form eines automobilen „Ökosystems“ zwischen allen Beteiligten. Neben diesen branchenspezifischen Ausführungen widmete sich Herr Prof.Dr.Moritz Brinkmann (Universität Bonn) den Problemen des vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahrens. Hier ging es insbesondere um die Frage, ob die Restrukturierung alleine auf die Passivseite der Bilanz auszurichten sei. Ferner erläuterte er, warum der Überschuldungsstatus zukünftig wieder die Pflicht zum Handeln des Insolvenzantragsstellers auslösen sollte. Dabei blieb in diesem Zusammenhang jedoch die Frage der Haftung der Geschäftsführer im vorinsolvenzlichen Verfahren zu klären. Hier plädierte er für eine Haftung der Geschäftsführer gem. § 64 GmbHG ab dem Zeitpunkt der Überschuldung.